Norman Ventura hat seinen Job gekündigt und widmet sich nun einem antiken Handwerk: der Schneiderei. Er näht Lederhosen, so wie früher.
Der Zug hält am Salurner Bahnhof. Als ich aussteige, bemerke ich sofort, wie breit das Tal hier ist. Hohe Berge ragen auf beiden Seiten in die Höhe. Ich schaue mich kurz um. Das Dorf liegt weiter hinten, direkt am Berg. Ich folge der Hauptstraße, immer geradeaus, über eine Brücke und die Etsch hinweg. Nach wenigen Minuten erblicke ich das Schild „Trientner Straße“ und biege rechts ab. Einige Schritte noch und ich stehe vor der „ Salurner Lederhosenschneiderei“. Hier liegt also Normans Reich. Eine Treppe führt in seine Werkstatt. Meine Hand gleitet über ein elegantes schmiedeeisernes Geländer, das sein Großvater angefertigt hat. Bei einer Ta sse Kaffee setzen wir uns an den Holztisch in die Stube, einem für Südtirol typischen und mit Holz getäfelten Wohnzimmer.
Norman Ventura gab seine Festanstellung in einem Ingenieurbüro auf, um sich voll und ganz dem Nähen von Lederhosen zu widmen
Die Stilfser Hirschen
Lederhosen sind typisch für Südtirol, Tirol, der deutschen Schweiz und Bayern. Doch wo bekommt Norman das Leder für seine Hosen her? „Es ist Hirschleder“, erklärt er. „Die Tiere werden nach einem Auswahlverfahren im Nationalpark Stilfserjoch geschossen und anschließend zum letzten Gerber Südtirols nach Mals gebracht. Meine Neugier ist geweckt. Es ist an der Zeit, dass mir Norman erklärt, wie er seine Lederhosen herstellt. Gemeinsam betreten wir den zweiten Raum seiner Schneiderei. Jede Maschine steht hier an ihrem Platz, auch die drei Nähmaschinen. Lederstücke, Schablonen, Kleber und Fäden füllen die Regale. Es gibt mehrere Tische, jeder ist für einen Arbeitsschritt angedacht. Neben der Wand steht eine Presse. Norman benutzt sie, um verschiedenste Elemente präzise auszustanzen.
Das Hirschleder wird mit traditionellen Methoden gegerbt
In dieser seitlichen Tasche wird traditionell das „Fuhrmannsbesteck“, ein Kit für alle Fälle, aufbewahrt
Hosen wie damals
Hunderte Jahre lang galten Lederhosen als resistente Hosen für Bergarbeiten. Da sie wasserabstoßend und geruchsabweisend sind, mussten sie nur selten gewaschen werden. Sie sind aufwendig in der Herstellung und wurden oft mit zusätzlichen Details versehen, wie beispielsweise dem Ortswappen. Schnell wurden sie somit zu einer „Identitätskarte“. Heutzutage werden sie vor allem bei regionalen Festen von Musikkapellen, Chören, Tanzgruppen und den Schuhplattlern getragen.
Lederhosen
Zwei verschiedene Modelle
– „Kniebundhosen“ reichen bis zu den Knien
– „Seplhosen“ trugen früher nur Kinder
Feinheiten
– „Himmelstor“ oder „Sautirl“: eine größere Öffnung an der Vorderseite, um bei Harndrang die Hose nicht vollständig ausziehen zu müssen.
– Messertaschl: kleine Tasche für das „Fuhrmannsbesteck“, bestehend aus einem Messer, einer Gabel mit zwei Spitzen und einer Stecknadel … oder heutzutage für das Smartphone.
Herstellungsdauer
– 3 bis 4 Tage für einfache Modelle
– 1 Woche für komplexere Modelle
An der Maschine schneidet Norman Lederstreifen, um anschließend einen Zopf am Latz, dem sogenannten „Steg“, zu flechten
Norman fühlt sich mit seiner Heimat und deren Geschichte sehr verbunden. Bereits die Schützenkompanien, die im 19. Jahrhundert vom Freiheitskämpfer Andreas Hofer aus dem Passaiertal geleitet wurden, trugen Lederhosen. Mit Leder nähte Norman bereits früher gerne und den Schützen verdankt er seinen Beruf. Sie brachten ihn auf die Idee, es mit der Schneiderei zu probieren. „Näh uns doch eine Lederhose“, baten sie ihn. Und so entstand Normans neue Leidenschaft.
Die Schablonen werden in die Presse eingesetzt und garantieren einen sauberen Ausschnitt der Lederelemente
Während ich mit Norman immer mehr in die Geschichte und die traditionellen Bekleidungen versinke, kommt sein Bruder Thomas herein. Ein offener, lächelnder Typ, der wie Norman sehr zielstrebig ist. Bald schon werden die Brüder gemeinsam das Nähen von Lederhosen fortführen – ein Handwerk, das es so in Südtirol nicht mehr gibt. Alle historischen Schneider sind mittlerweile in Rente. „In Bekleidungsgeschäften finden wir viel zu oft Lederhosen aus Pakistan und Bangladesch, angefertigt von Menschen, die ausgenutzt und giftigen Chemikalien ausgesetzt werden. Dadurch kosten sie wenig, halten aber auch nicht lange“, erklärt Norman. Seine Lederhosen überstehen die Zeit und können von Generation zu Generation weitergegeben werden.
In freundlicher Zusammenarbeit mit der Storytelling-Plattform „Was uns bewegt“ von IDM Südtirol. Redakteure, Fotografen und Filmemacher sammeln und erzählen hier reale Geschichten von Menschen, Produkten und Lebensmustern in Südtirol.
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